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Armer Künstler, Guter Künstler?

Dieser Text wurde ursprünglich im Februar 2022 am Gymnasium Pegnitz verfasst, in selbigem auf chrissx.de veröffentlicht[1] und nun für die ZERM leicht überarbeitet.

Oliver Jungen fordert in der FAZ: „Autorenförderung? Hungert sie aus!“ Und so sehr das auch nach den Worten eines kulturfernen Misanthropen klingt, verbergen sich hinter dieser reißerischen Parole Thesen, die nicht so leicht von der Hand zu weisen sind.

Kunstpreise. Mittlerweile gibt es von ihnen so viele, dass der Satz „Dieses Werk wurde mehrfach ausgezeichnet!“ vollkommen im Grundrauschen einer Buchvorstellung untergeht. Wie uninteressant selbst große Preise sind, merkt man beim Umgang vieler Künstler*innen mit ihnen. Fragen Sie mal Felix Lobrecht, wie er sich über seine gefreut hat.[2] Wenn nicht mal den Künstler selbst die Auszeichnung kümmert, wie relevant kann diese dann für die Allgemeinheit sein?

Aber den kleinen Künstler*innen ist mit dem – zugegebenermaßen auch nicht sonderlich großen – Preisgeld geholfen. Das stimmt und ist gut, aber wäre es dann nicht besser, diese schon im Entstehungsprozess zu unterstützen, anstelle sie dann nachher mit Geld zu überhäufen? Jahrelang in bitterer Armut zu leben, um dann mit seinem Bestseller Millionen zu machen, klingt doch mehr nach einer neuen, noch verrückteren Spielweise des „vom Tellerwäscher zum Millionär“-Mythos des Spätkapitalismus.

Aber Jungen befürwortet in seinem Artikel diese Idee ja nicht, aber die braucht es auch nicht, ein Sozialstaat würde schon reichen, um seine Ideen mit dieser in Einklang zu bringen. Seine Hauptthese ist, dass die Kunstschaffenden nicht zu unterstützen, vielleicht sogar Repressalien zu unterlegen, der Kunst mehr hilft, als das Gegenteil zu tun. Dies kann nur bestätigt werden. Hört man beispielsweise mal Gregor Gysi zu, hört man, dass der Kapitalismus eine großartige Kunst und Kultur hervorgebracht hat, die ihn kritisiert[3], eben auch, weil Künstler*innen oft mit seinen Abgründen konfrontiert sind. Auch psychologisch ist das schlüssig: Die am besten angepasste Künstlerin bekommt Anerkennung und Geld. Fällt dies weg, ist die Kunst frei: Aber die preisunabhängige Förderung muss demnach auch fallen, weil sie die Kunst einengt auf den Geschmack des*der Fördernden.

Nun haben wir Künstler*innen in Armut und vielleicht auch bessere Literatur, aber wir haben eben auch Armut. In der FAZ könnte man das natürlich nicht fordern, aber da könnte ein besserer Sozialstaat, z.B. mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen, Abhilfe schaffen. Ist ein Leben ohne Armut für jeden Menschen garantiert, können Künstler*innen ihre Kunst machen und werden weder von den ökonomischen Zwängen der Armut, noch von der „Umarmung“ irgendwelcher Gremien tangiert. Die geforderte Freiheit der „bestialischen Literatur“ wäre hier dann vorhanden, ohne, dass Kunstschaffenden dafür hungern müssen.

Man kann also konkludieren, dass die Grundidee Jungens zwar absolut richtig ist und viele Literaturpreise abgeschafft werden sollten, man aber nach anderen, kreativitätsfördernden Maßnahmen suchen sollte, um diese Menschen nicht in Elend leben zu lassen, und auch, dass stärkere Sozialstaatsmodelle, wie eben das Bedingungslose Grundeinkommen, zumindest attraktive Lösungsansätze sind.